Walter Lippmann brachte 1922 ein Werk mit dem Titel „Public Opinion“ heraus – Titel ist Programm.
Eines der ersten Kapitel behandelt einen interessanten Gesichtspunkt, so schreibt Lippmann hier:
„The only feeling that anyone can have about an event he does not experience is the feeling aroused by his mental image of that event. That is why until we know what others think they know, we cannot truly understand their acts.
[…]
For it is clear enough that under certain conditions men respond as powerfully to fictions as they do to realities, and that in many cases they help to create the very fictions to which they respond.
[…] (W)e must note particularly one […] factor. It is the insertion between man and his environment of a pseudo-environment. To that pseudo-environment his behavior is a response. But because it is behavior, the consequences, if they are acts, operate not in the pseudo-environment where the behavior is stimulated, but in the real environment where action eventuates.
[…]
But when the stimulus of the pseudo-fact results in action on things or other people, contradiction soon develops. […] For certainly, at the level of social life, what is called the adjustment of man to his environment takes place through the medium of fictions. By fictions I do not mean lies. I mean a representation of the environment which is in lesser or greater degree made by man himself.“
Wir leben in einer medial geprägten Welt. Der Mensch neigt zu einer Meinungsbildung basierend auf einem Stereotypendenken, welches ihm permanent vorgezeigt – ja vorgelebt – wird.
Ältere Generationen geben Bilder an nachfolgende Generationen weiter, die teils nicht ihrer ureigenen Meinung entsprechen, sondern ihren Ursprung in dem haben, was wir als Allgemeinheit bezeichnen. Vermutlich wissen die meisten Menschen ihre wirkliche, eigene Meinung auf verschiedenen Levels gar nicht.
Wie auch? Es existiert kein tragender Grund darüber weiter nachzudenken. Gängige Meinung wird weiterhin gängig akzeptiert.
Es ist angenehm und ohnehin hinreichend sich bloß knappe, sofort schlüssige Gedanken zu machen.
Bestimmte, allgemein zulässige Positionen werden übernommen. Die Masse trägt.
Und so falsch kann die Masse nicht – ja niemals – liegen. Oder doch?
Ein Verweis auf die Geschichte der Menschheit ist hier wohl überflüssig.
Vielleicht ist es (wieder) einmal an der Zeit, seine Gedankenkonstrukte zu adaptieren. Unter Umständen bedarf es (wieder) einmal einer Phase des inneren Ausmistens, des inviduellen (weil bewusst individualisierten) Klärens und Aufklärens, um einer allzu gemütlichen Abgeklärtheit entgegenzuwirken.
Der Geist sollte nicht um seine Freiheit betrogen werden. Eine injizierte Meinungshaltung, die ihren Ursprung nicht im eigenen Gedankengut hat, ist nichts ungewöhnliches – Obacht ist also geboten!
Wahre Meinung – Authentizität der eigenen Gedanken – hat ihren Ursprung immer im Geiste: wohlgemerkt, im eigenen Geiste.
Öffentliche Meinung sei hier nicht geschmältert, durchaus jedoch als zu trennend von eigener Meinung zu betrachten…
Hosanna.
LGGF
Genau. Das ist glaube ich ein guter Punkt.
Manche Leute wissen (bzw. glauben zu wissen), wo „das Böse sitzt“: bei „denen da drüben überm Teich“, „beim Weltjudentum“, „bei S&P“, „bei Goldman Sachs“, usw. usw.
Hach, es ist so austauschbar 😦
Dementsprechend agieren sie dann, und ihre Interaktion mit ihrer Fiktion macht diese Fiktion „gesellschaftlich real“, weil „wenns die Herren Diplom….usw. Akademiker glauben, dann muss es ja stimmen“.
Wie hat STS gesungen: „es is desselbe Liad, es is derselbe Tanz“.
Diesen scheußlichen Fiktionen, die sich letzten Endes wieder einmal selbst verwirklichen werden, sollten wir bessere Fiktionen entgegensetzen.
Hoffnung, Liebe, Glaube, Treue, Frieden, Geduld, Ausdauer, Kompromissfähigkeit, „der andere kann auch einmal recht haben“, ………
Aber wer weiss, vielleicht muss ja nur einer damit anfangen…….
P.S.: ein Hinweis für die Blogroll: mein neuestes (letztes) Blog heisst jetzt: letztersein.wordpress.com
Nochwas. Trotz der Gefahr, dass ich jetzt in den Ruf kommen werde, immer Thread-Hijacking zu betreiben:
Ich glaube, zu diesem Thema „Virtualität und Realität“ haben wir uns hier schon einmal Gedanken gemacht: http://zweitersein.wordpress.com/2011/04/12/virtualitat-und-realitat/
Nur habe ich das „Pseudo-Environment“ mit einem Computerspiel verglichen, bzw. mit Religionen und das „Environment“ mit „Himmel, Gott und Engel“, bzw. mit einem echten Schlachtfeld.
Nur so zum Nachdenken
Wenn wir die öffentliche Meinung adaptieren, wird sie als ein Teil unseres Inneren implementiert.
Die Frage ist, ob es nicht auch umgekehrt läuft: Ob unser Innerstes (was ist das überhaupt?) eine Art „öffentliches Inneres“ oder „äuißeres Inneres“ entwickelt, das das Innerste von der Suche nach den eigentlichen Bedürfnissen oder Sinn oder Willen usw. abhält.
Ob also nicht ein anthropologisches 3-Schicht-Modell angebracht wäre: Das „innere Innere“, vielleicht gleichzusetzen mit „Geist“ oder „Seele“, das „äußere Innere“, mglw. gleichzusetzen mit Psychologie und Wechselwirkung mit dem Außen, und ein „Außen“.
Kurzum: Manchmal habe ich das Gefühl, dass die schlimmste, die reißerisschte „Öffentlichkeit“ die (meine) 2. Schicht ist, quasi mein in vollkommen eigenen Illusionen sumpfendes Gehirn, welches die Innere vortfrefflich verdeckt….
PS. Schön dass du wieder schreibst, da fühle ich mich motiviert, auch wieder mal was zu bloggen!
LG KNI
@Yeti: „Aber wer weiss, vielleicht muss ja nur einer damit anfangen…….“
…ich würd sogar weiter gehen:
De facto SOLLTE jeder (jeder!!) einzelne bei sich selbst anfangen:
Ausmisten, ausmisten, ausmisten! Raus mit dem ganzen Schas! Kärchern! Dekontaminierung!…
…bis man wieder fähig(er) ist, die Welt etwas unschuldiger, unbefangener zu betrachten und einfach – urteilsfrei(er) – wahrzunehmen in ihrer simplen Realität…
Der Mensch sieht, was er sehen MÖCHTE. Und was möchte er sehen? Das was ihm vertraut ist. Und vertraut ist ihm das, was er schon kennt. Die Schemen und Schablonen des Denkens, die alles so schön strukturiert sein lassen. Wie angenehm. Herrlich! Nicht viel selbst überlegen müssen im Vorfeld. Wunderbar! Denkschablone X projeziert – quasi appliziert – auf Individuum, Land, Volksgruppe Y – fertig. Einzelne die da nicht ins Denkschema passen, können ruhig vernachlässigt werden bei der Wahrnehmung…
Nicht leicht das.
@KNI: ..mag sein – ja.
„Kurzum: Manchmal habe ich das Gefühl, dass die schlimmste, die reißerisschte “Öffentlichkeit” die (meine) 2. Schicht ist, quasi mein in vollkommen eigenen Illusionen sumpfendes Gehirn, welches die Innere vortfrefflich verdeckt….“
…darüber muss ich noch nachdenken.
Ich bedenke:
Wenn ich von etwas, jemandem oder auch einem Ereignis, usw. kein vollständiges Bild habe – da nicht selbst erfahren – werde ich nicht umhin kommen, dieses unvollständige Gebilde eines Eindrucks zu vervollständigen – nämlich aus den Mitteln, die mir zur Verfügung stehen.
Das kann ich auch bleiben lassen, sonnenklar. Wird jedoch schwierig, wenn ich mir zu eben jenem unvollständigen Thema (Person, Sache, Event, etc.) konkrete Gedanken machen möchte. Wenn ich also Position dazu beziehen will.
Nur welche Vervollständigungsmittel stehen mir zur Verfügung?
Bloß die Eindrücke aus zweiter Hand, von denen ich eben gelernt, vorgesungen, nacherzählt,.. – wie auch immer – bekommen habe, dass sie halt so sind.
Das sind dann im Normalfall Stereotypenbilder, die klamm-heimlich in mein Bewusstsein sickern, über Jahre, durch Erziehung, usw., oft jedoch ohne als das erkannt zu werden, was sie eigentlich sind – oder besser: was sie NICHT sind, nämlich ein individuell wahrgenommener Eindruck der Realität.
Ich vervollständige mein unfertiges Bild von einer Sache also mit dem Konstrukt einer angenommenen Realität, einer gesellschaftlich anerkannten Silhouette. Was sollte ich auch sonst machen? Ich habe ja keine – oder kaum – selbsterlebte Information dazu gespeichert. Jede doch selbsterlebte Information zu dem Thema, die halbwegs in das Cliché passt, festigt meine Überzeugung vom Stereotyp. Jede widersprüchliche selbsterfahrene Information wird als „Ausnahme, die die Regel bestätigt“ abgetan. In Tendenzen – schon klar.
Was mache ich also?
Ich bilde mir ein Kartenhaus, das ich Meinung nenne, in dem einige der Karten mir gehören, andere gehören wem andern, sind also nur geborgt, andere hab ich zufällig aufgeklaubt und es sucht bereits jemand danach, usw.
Und wenn das Kartenhaus irgendwann zusammenbricht und jeder sich seine eigenen Karten zurückholt, merke ich vielleicht: „Huch, da gehören ja nur 3 mir – die anderen 49 waren nur geliehen. Jetzt sind sie weg. Da bleibt aber nicht viel von mir selbst übrig! …Wie bin ich eigentlich dazu gekommen, jenes Kartenhaus bauen zu können?? Komisch…“
*oh schreck*
Wie auch immer – es ist ein leidiges Thema. Warum? Es geht ja Hand in Hand mit dem Thema Propaganda…
Und doch:
Real gesehen ist es absolut UNMÖGLICH zu jedem Thema what-so-ever selbst Erfahrungen zu machen und somit zu allem eine ur-eigenste Meinung bilden zu können.
Wir sind ja auf Schablonen angewiesen – sonst System-Overflow… *na prack*
Wie belustigend paradox…
…sind wir nicht alle ein bisschen Marionette?
LGGF
Ich möchte einen Gedanken aufgreifen, den Du geschrieben hast :“Wenn das Kartenhaus zusammen bricht, und jeder sich seine Karten zurück holt…“- das ist ein sehr starkes (schönes?) Bild!
Zugleich, oder vielleicht gerade darum?, nicht ganz verständlich!
Denn: Wer kann mir jene Karten weg nehmen? Oder: Welcher Natur müssen solche Karten sein, die sich wegnehmen lassen? Die müssen irgendwie auf Informationen von aussen beruhen, das ist klar. Aber gibt es nicht auch Karten, die mehreren Menschen zugleich gehören? Wenn nun der eine jene Karte wegnimmt, bleibt nicht dann ein Abziehbild – oder sogar die echte Karte- bei mir?
Hm.
Vielleicht hat aber dieses „Karten wegnehmen“ damit zu tun, dass manche wichtige Karten quasi für ungültig erklärt werden. Auf einmal spielt man keinen Bauerschnapser mehr und keinen Gang – sondern einen Bettler….und das Atout-Ass ist nur mehr noch eine Belastung……
Wir finden uns doch immer wieder in einer Karte wieder, unser eigenes Bild spiegelt sich in ihnen, das und nur das macht ja eine Meinung oder ein Bild von der Welt für mich von Bedeutung.
Und dann wird sie, die Karte, von einem Augenblick auf den anderen ungültig, -sie wird von dem Mitbesitzer der karte ungültig gemacht – mit der Karte verliert das Ich den Wert, und das Kartenhaus bricht zusammen….
……ob es nun ein Trost ist, der Schwerkraft bei der Zerstörung des Kartenhauses zuzusehen, sei dahingestellt. Aber zumindest folgt auch die Gravitation höheren Gesetzen. Also einer Metaphysik, versuch ich also, zumindest diese zu verstehen.
Mein momentaner Erkenntnisstand: Könnte sein, dass wir eine Spiegelbrille aufhaben – und die Schwerkraft zieht die Dinge in Wirklichkeit nicht nach unten, sondern nach oben……
…..und wer weiss, vielleicht steht das Haus noch, weil es ja gar kein kartenhaus war, sondern auf „festem Fundament gebaut“ ((c) Jesus), und es ist völlig gleichgültig, wer was für ungültig erklärt hat, das Haus ist ein Tempel, in dem Gott und die Menschen geliebt werden, ganz wurscht, was zurück kommt…..
LG KNI
bitte nicht missverstehen:
ich sage nicht, dass zwei oder mehrere menschen nicht der gleichen ansicht, meinung, einstellung, etc. sein können.
es geht mir hier nicht um die quantitätseinschränkung solcher, sonder vielmehr um den qualitätsausbau selbiger.
wenn also alle menschheit zu einem beliebigen thema ein und der selben meinung wäre, beruhend auf selbsterfahrenen, wohldurchdachten, etc. pp gedankengängen, wäre das ja ein optimum!! (..muss grad an utopia denken..)
faktisch ist das nicht so, sondern sehr im gegenteil:
wir sind im kleineren rahmen (nicht als ganze menschheit, sondern schon als interessensgruppen wie auch immer) doch sehr uneins, oft beruhend auf eben NICHT authentischen einsichten, sondern aufgrund von vorgeplapperten und somit nachgeplapperten inhaltslosigkeiten, die sich aber sooo schön auf reales projezieren lassen…
was wiederum NICHT heißen soll, dass alle welt der gleichen meinung sein müsse – egal zu welchem thema..
LGGF
Oder es ist genau umgekehrt – Wir sprechen über wichtigste Dinge, und uns gehen die Worte aus, so dass wir nur noch plappern…..aber, wer weiß, vielleicht ist das dasselbe? 🙂
PS.: hab meinen Artikel fertig geschrieben, viel Vergnügen beim Lesen,
LG KNI
@gutefee:
Ja, Du hast recht. Es ist nicht leicht, Denkschablonen abzulegen.
Eine meiner Denkschablonen ist zum Beispiel ein gewisser „Relativismus“, eine „Distanziertheit zu Allem“.
Aber vielleicht muss man manchmal doch recht eindeutig Stellung beziehen.
Gegen Radikalismus jeder Art
DIe Option für die Armen betonen (den Reichen geht’s eh gut, die brauchen meine Unterstützung nicht)
manchmal auch im Privatleben, was ist eine Eheschließung anderes, als „deutlich Stellung zu beziehen“
für Leistung (wenn sie einer guten Sache dient)
für Müßiggang (wenn er einer guten Sache dient)
usw.